Der Junge mit dem Piercing hat uns verlassen Das Ballett am Rhein verlor mit Bogdan Nicula einen seiner profiliertesten Tänzer an den Tod

Mit Bogdan Nicula verstarb ein Tänzer von unverwechselbarer Schönheit im Tanz.

Ernst, schön, sinnlich und weltzugewandt: Bogdan Nicula, hier auf seinem letzten Facebook-Profil. Foto: anonymous

Im „Forellenquintett“, dieser reizvoll-quirligen, skurril-erhabenen Choreografie von Martin Schläpfer, durfte er Zunge zeigen: Bogdan Nicula, der aus Bukarest stammende und in Monaco ausgebildete Tänzer, trug mitten im Mund ein Piercing, das er stolz und provozierend gern vorzeigte, wenn er die Zunge rausstreckte. So im „Forellenquintett“, in dem er einen Fisch tanzte, der, mit dem Rücken auf dem Boden liegend und die Beine über Kreuz hoch gereckt, sich aus dem Schlamm ins Freie zu wühlen schien. Mit Balance und bella figura tänzelte dieser Fisch durch sein scheinbares Wasserleben, zeigte dabei akrobatisches Geschick und die unnachahmliche Aura eines kindhaften Clowns. Das Ballett am Rhein hat diesen seinen wundersamen Tänzer nun endgültig verloren. Bogdan Nicula starb, mit Mitte 30, an den Folgen seiner Erkrankung an ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) – mit schier unglaublicher Tapferkeit hat er die im traurigen Eiltempo an ihm zu beobachtende Krankheitsentwicklung erlitten.

Seinen letzten Bühnenauftritt hatte Bogdan zu Beginn der laufenden Spielzeit, bei einem Gastspiel in Maastricht. Dann rief ihn die derzeit unheilbare Krankheit, die zu Muskelschwund führt, aus dem Berufsleben. Bogdans Lebensgefährte Helge Freiberg, Tänzer wie er, ließ sein Engagement in Oslo ruhen, um zu kommen, ihn zu pflegen und zu begleiten.

Mit Bogdan Nicula verstarb ein Tänzer von unverwechselbarer Schönheit im Tanz.

Ein Sprung wie in den Himmel der Tänzer: Bogdan Nicula in „Kunst der Fuge“, Martin Schläpfers erstem abendfüllenden Ballett. Foto: Gert Weigelt

Vor fünfzehn Jahren war er gemeinsam mit Bogdan, der auch talentiert choreografierte, zu Martin Schläpfer ins Ensemble vom ballettmainz gekommen. Seit 2009 tanzte Nicula bei Schläpfer im Ballett am Rhein – und galt dem Meister stets als unverwechselbare „männliche Muse“.

„Er war ein Künstler – ein Rebell auch“, sagte Schläpfer jetzt, anlässlich des Todes seines Tänzers. Ein letztes Mal lobte der Chef vom Ballett am Rhein die „geschmeidige und trotzdem in jedem Moment explodieren könnende Körperkraft“ von Bogdan Nicula. Auch dessen „technische Virtuosität und präzise Linienführung“ vergaß Schläpfer nicht zu erwähnen, ebensowenig die starke Bühnenpräsenz des Körperkünstlers.

Die Uraufführung des Schläpfer-Stücks „verwundert seyn – zu sehn“ im Januar diesen Jahres hatte der Choreograf denn auch bereits seiner außergewöhnlichen Muse zugeeignet; auch die Vorstellungen jetzt zum Saisonende hin sind Bogdan gewidmet. Verstanden haben sich die beiden im Wortsinn einer seelennahen Künstlerfreundschaft – und in den Solostücken, die Nicula tanzte, war das auch entschieden ganz augenscheinlich.

So kamen diese Tänze Bogdans Persönlichkeit entgegen, vereinten oftmals zwei gegensätzliche Pole in sich. Sie hatten dann zugleich etwas Klassisch-Geradliniges und auch etwas Modern-Verwinkeltes an sich; der drahtig-muskulöse Bogdan konnte seine eleganten Sprünge und smarten Drehungen nonchalant als technisch brillante Leckerli in die ansonsten ausdrucksorientierten Schrittkombinationen einbringen.

So auch im „Forellenquintett“: Dort umfassen die Keckheit und die Lebenslust von Bogdans Bühnenfigur des Fischs auch serielle Chainés – sowie blitzschnell und aus dem Stand heraus erfolgende große Sprünge. Charmant war dieses besondere Fischlein – und so gar nicht zurückhaltend!

Mit Bogdan Nicula verstarb ein Tänzer von unverwechselbarer Schönheit im Tanz.

Akrobatisch, elegant, charmant: Bogdan Nicula im „Forellenquintett“ von Martin Schläpfer. Foto: Gert Weigelt

Wer einen aktuellen Kalender vom Ballett am Rhein hat, der muss nur auf das Deckblatt schauen, um Bogdan Nicula noch einmal in einer seiner Lieblingsposen aus dem „Forellenquintett“ zu sehen. Den Monat März, dem das Posterfoto außerdem galt, konnte er überleben. Das ganze Jahr war nicht mehr zu schaffen.

Dafür wurde er unsterblich in seiner Kunst, die allen, die ihn kannten, im Gedächtnis bleibt. Rainer Maria Rilke dichtete 1893 Verse, die geeignet sind, diesem für die Bühne so tugendhaften Tänzer Lebewohl zu sagen:

„Dies sei das höchste Ziel des Erdenlebens, / Winkt einst nach Müh’ und Plag’ die Ruhe Dir, / Zu sagen: ‚Ja, ich lebte nicht vergebens / Und was ich schuf, das endet nicht mit mir.’“
Gisela Sonnenburg

 

ballett journal