Der wohl Schönste und Zielstrebigste Jiří Bubeníček nimmt seinen Abschied aus Dresden mit „Manon“ von Kenneth MacMillan: an der Seite von Melissa Hamilton

Jiri Bubenicek tanzt noch eine große Rolle!

Ein Brief, ein Liebhaber, eine explosive Stimmung: „Manon“ mit Jiri Bubenicek beim Semperoper Ballett. Foto: Ian Whalen

Manon! Seit der Londoner Uraufführung 1974 ist „L’Histoire de Manon“ von Kenneth MacMillan eines der drei großen ungewöhnlichen Liebesballette des 20. Jahrhunderts, die Fans wie Fachleute ganz besonders ansprechen. Und wohl jede Primaballerina und jeder Primoballerino möchten hierin mittanzen! Zur Erinnerung: „Onegin“ von John Cranko, MacMillans „Manon“ (so die Kurzform des Titels, die sich an dessen Stelle eingebürgert hat) und „Die Kameliendame“ von John Neumeier – das sind die drei bedeutenden getanzten Kommentare des Balletts, die jenseits des Eisernen Vorhangs entstanden, zur Situation von wahrhaft Liebenden. Jiří Bubeníček, der internationale Star-Tänzer, gibt jetzt mit „Manon“ beim Semperoper Ballett seinen offiziellen Bühnenabschied – an der Seite von Melissa Hamilton, die aus London als Stargast für die Titelrolle einfliegt.

„Es ist das erste Mal, dass ich ein Stück von MacMillan tanze!“ Jiří Bubeníček ist zwar nicht aufgeregt, wenn er darüber spricht, aber er strotzt nur so vor Vorfreude. Er und sein Ballettdirektor Aaron S. Watkin haben sich für Jiřís Abschied von der Bühne der Semperoper in Dresden etwas ganz Besonderes ausgedacht: die Premiere und eine weitere Vorstellung in der Rolle als des Grieux in MacMillans „Manon“. Die barocke Geschichte schildert als ballettöses Urbild eine soziale Schichten verklammernde Liebe – denn Manon ist eine Hure und ihr Geliebter, der Chevalier des Grieux, ist an sich ein Junge aus gutem Haus, der für eine Ehe mit einer Standesgemäßen erzogen wurde. Und jetzt das! Große Liebe, große Leidenschaft, großes Leid! Aber nichts fasziniert uns Menschen so sehr wie gerade eben das.

Jiri Bubenicek tanzt noch eine große Rolle!

Bei den Proben im Ballettsaal in Dresden: Jiri Bubenicek mit der versierten, schönhüftigen Londonerin Melissa Hamilton. Foto: Ian Whalen

Jiří Bubeníček weiß, was er an der Partie hat: „Ich liebe dieses Ballett, und ich versuche, mich maximal einzufühlen in die Rolle.“ Zu des Grieux stellt er richtig fest: „Er ist ein behüteter junger Mann, der von seiner Familie in allem unterstützt wird. Aber dann verliebt er sich in Manon – und sein Leben nimmt eine völlig andere Richtung.“ Oh, und wie! Kaum verliebt, wird des Grieux kriminell für Manon. Weil sie immer neue Forderungen stellt, weil sie ein verwöhntes Luder ist, weil ihr, der Luxusprostituierten, der Gedanke, arm zu sein, so peinlich ist wie sonst nichts.

Das ist die atemberaubende Paradoxie dieses Balletts: Es geht in opulenten, barocken Kostümen, die sich wie ein Augenschmaus aus Samt und Seide ausnehmen – die Ausstattung von Peter Farmer ist speziell fürs Ballett der Semperoper kreiert worden und trägt dem Augenschmaus-Faktor voll Rechnung – letztlich um die große Angst vor dem sozialen Absturz.

Kommt das irgendwem bekannt vor?

Das Ballett „Manon“ ist darin aktueller denn je, seit die Globalisierung der Wirtschaftskräfte in Europa immer stärker eine Spaltung in Arm und Reich bewirkt.

Manon entstammt der unteren Schicht – und hat es, dank ihrer Schönheit, dank ihres Talents für die körperliche Liebe sowie mit ihrer Bereitschaft, beides zu verkaufen, finanziell weit nach oben geschafft. Sie ist umschwärmt und kennt ihren Marktpreis. Aber die Freiheit zu lieben und sich selbständig für oder gegen einen Menschen in ihrem Bett zu entscheiden, hat sie nicht. Diese Problematik betrifft im weiteren Sinn natürlich nicht nur die Nutten, sondern jede Frau (oder auch jeden Mann), der über die sexuelle Beziehung einen sozialen Aufstieg plant oder vollzieht. Vulgo: Jede Hausfrau und jeder mit einer wohlhabenden Frau verheiratete Mann kann seine Grundzweifel an seinem Partner in „Manon“ indirekt wiederfinden. Es ist ja immer die große Frage, der große Zweifel in den Beziehungen: Werden wir tatsächlich um unserer selbst willen geliebt (und geehelicht) oder stellen wir für den Partner oder die Partnerin nur einen gewissen Nutzen dar?

Für den Chevalier erhebt sich diese Frage zunächst mal gar nicht, denn ihn bestimmt ein Hormoncocktailrausch, kaum dass er mit Manon zu tun hat: „Er verliebt sich auf den ersten Blick, rückhaltlos.“ Jiří Bubeníček weiß, wovon er spricht. Er hat schon oft Liebhaber auf der Bühne dargestellt. Er war Armand in der „Kameliendame“, er war Romeo in „Romeo und Julia“ – letzteres übrigens erst mit knapp 40 Jahren, und sein biologisches Alter (41 Jahre) ist auch der Grund, warum Jiří beschlossen hat, der Fortsetzung seiner Tänzerkarriere ade zu sagen und fortan vor allem als Choreograf zu arbeiten. In den letzten Jahren pendelte er schon zwischen den zwei eng verwandten Welten, zwischen dem Tanzen und  der Choreografie. Aber das wurde zunehmend anstrengender, und einer wie Jiří mag nicht erst von der Bühne gehen, wenn man es ihm schon nahe legen muss. Er hält seinen Körper topp in Schuss, nicht zuletzt mit vegetarischer Ernährung, aber auch mit viel tänzerischer Trainingspflege. Jetzt präsentiert er ihn uns ein letztes Mal, auf dem Höhepunkt seiner Kräfte, im abendfüllenden Part.

Viel liegt hinter ihm, vieles vor ihm.

Jiri Bubenicek tanzt noch eine große Rolle!

Seine LIebe reißt ihn aus seinem geordneten Leben: Der Chevalier des Grieux, getanzt von Jiri Bubenicek, schwankt zwischen Liebesglück und kriminellen Taten. Foto: Ian Whalen

Er war Franz in Balanchines „Coppélia“, und er war der Prinz Désiré in „Dornröschen“. Er war Solor in „La Bayadère“ und Albrecht in David Dawsons „Giselle“. Er hat geliebt, auch in zahlreichen hochkarätigen abstrakten Pas de deux: wie in „Petite mort“ von Jiří Kylián oder in „A million kisses to my skin“ von Dawson. Er hat gelitten, wie als Titelfigur in Stijn Celis’ „Josephs Legende“. Er hat Frauen gezähmt, wie als Petruccio in John Crankos „Der Widerspenstigen Zähmung“. Er hat mit Frauen brilliert wie in „Jewels“ von George Balanchine. Er seiner eigenen Choreografie seinen elegant-geschmeidigen Körper für die mustergültige Interpretation geliehen (so in „Kanon in D-Dur“). Und er hat der DVD „Illusionen – wie Schwanensee“ als Verkörperung der Hauptfigur, einer Fantasie auf König Ludwig II., zu ewigem medialen Leben verholfen.

Jiří Bubeníček hat ein reiches Tänzerleben hinter sich, ein erfülltes Dasein auf der Bühne, mit maximal ausgeschöpftem Rollen- und Kreationspool. Sein Entschluss zu gehen, enstand gemeinsam im Dialog mit dem ebenfalls tanzenden Zwillingsbruder Otto Bubeníček – und keinesfalls auf Drängen des einen oder anderen Vertragspartners. Mit Otto sind die kommenden Aufgaben geplant, in Tokio, in Tschechien (wo sie in einem Projekt mit Schaupielern und Tänzern auftreten werden), in großen und kleinen Städten auf verschiedenen Kontinenten. Jiřís Choreografien sind von stark musikalischer, linienbetonter Schönheit und Ausdrucksstärke. Und von daher sehr gefragt.

Und Otto hat ein vielseitiges Talent, sich um Musiken, um Kostüme, um dramaturgische Hintergründe zu kümmern. Im Sommer nahm er beim Hamburg Ballett seinen Abschied aus dem dortigen Engagement. Mit seinem Zwillingsbruder zusammen bildet er ein weltweit einzigartiges Team, das in einer Symbiose auf eine Weise zusammen werken kann, die nur beneidenswert ist! Schließlich kennen die zwei sich von Geburt an, und oftmals muss der Eine nichts aussprechen, um vom Anderen verstanden zu werden.

So war es auch, als es um ihre Tanzeigenschaften ging. Natürlich, der Körper wird schwerer mit dem Alter, auch anfälliger, und niemand, kein Otto und sogar ein Jiří Bubeníček nicht, vermag es stets und ständig, darüber hinwegzutäuschen. Aber gerade Jiří ist ein Paradebeispiel dafür, dass auch reife Tänzer eine große jugendliche Beschwingtheit im Ballett darstellen können, nicht nur mit dem schönen Gesicht, sondern auch durch den Tanz selbst.

Ein ausführliches Portrait dieses Ausnahme-Ballettstars entstand bereits im letzten Jahr, es steht hier im Ballett-Journal zu lesen (siehe Abspann).

Jiri Bubenicek tanzt noch eine große Rolle!

Vertrauen und alles geben: Jiri Bubenicek, vollkommen als liebender des Grieux tanzend, mit Melissa Hamilton bei den Proben zu „Manon“ in Dresden. Foto: Ian Whalen

Der des Grieux ist jedenfalls eine Rolle, die wie das Tüpfelchen auf dem „i“ zu Jiří Bubeníček passt, und die in seinem Werdegang als Ballettkünstler wirklich noch gefehlt hat.

Als der Abbé Prévost 1731 seinen Roman „L’Histoire du Chevalier des Grieux et de Manon Lescaut“ veröffentlichte, thematisierte er damit ein Tabu, das zugleich als moralisches Rührstück taugen sollte. Er verarbeitete darin seine eigene Geschichte: Wie seine Figur des Kleinadligen, des Chevalier des Grieux, der eigentlich ein Theologiestudium beginnen sollte, hatte Prévost (der in komplizierten Hin-und-her-Schritten eine klerikale Ausbildung absolvierte) eine passionierte Liebesgeschichte mit einer Prostituierten. Und zwar mit der Den Haager Liebesverkäuferin Lenki Eckhardt, für die er sich in Schulden stürzte, unter falschem Namen lebte und schließlich von Holland aus nach Frankreich zurück ging, um beim Papst erfolgreich um Vergebung bitten zu lassen.

Dennoch wusste Prévost während des Schreibens offenbar noch nicht, wie sein Manuskript enden und wie er es für den Leser insgesamt aufbereiten würde. Die Dramatik gewann schließlich: Der Schriftsteller lässt die geliebte Frau nach der Verhaftung Manons und nach ihrer Deportation in eine Strafkolonie zwar vom Chevalier befreien, aber sie stirbt entkräftet in den Armen ihres Liebsten.

Zahlreiche Werke wurden in Varianten nach diesem literarischen Vorbild geschaffen. Opern wie die von Jules Massenet und Giacomo Puccini.

Kenneth MacMillan traute sich mit seinem zweiten abendfüllenden Dreiakter als damaliger Künstlerischer Direktor des Royal Ballet in London wirklich was zu, indem er das „heiße“ Thema Prostitution und Liebe ballettös illustrierte. Noch heute sagen Nutten, dass sie strikt zwischen Beruf und Privatleben trennen müssen, um nicht „durcheinander“ zu kommen. Ist das nicht schrecklich? Können Sie sich das vorstellen: strikt zu trennen, zwischen privatlich und beruflich? Da wären schon Betriebsfeiern verboten, und jeder begehrliche Blick auf den Kollegen oder die Kollegin wäre ein Sakrileg.

Aber eine Hure kann nicht überleben, wenn sie sich in ihren Kunden verliebt.

Jiri Bubenicek tanzt noch eine große Rolle!

Ein Paar, das alle Grenzen der Gesellschaft überwindet: Manon (Melissa Hamilton) und des Grieux (Jiri Bubenicek) beim Semperoper Ballett. Foto: Ian Whalen

Dieser Konflikt prägt die inhaltliche Grundierung von „Manon“. Des Grieux ist da der Über-Liebhaber, der sich über diesen Konflikt hinweg setzt und selbst eine Menge riskiert, um eine an sich unmögliche Liebe möglich zu machen.

Die Chemie zwischen den beiden Protagonisten muss da unbedingt stimmen. Wie sieht es aus, Jiří?

Zu seiner Partnerin Melissa Hamilton kann er Gutes sagen: „Wir sind sehr offen, aber konzentriert im Umgang miteinander, und wir haben eine wirklich gute Zeit zusammen bei den Proben.“ Sie sehen aber auch wunderschön zusammen aus, der in Polen gebürtige ballettöse Tscheche und die Londoner Ballett-Heldin!

Wichtig außerdem, laut Jiří Bubeníček: „Die Zusammenarbeit mit der Gast-Ballettmeisterin Patricia Ruanne ist ebenfalls sehr gut, auch mit dem Gast-Ballettmeister Karl Burnett. Die beiden geben uns Tänzern viele Informationen, und manchmal überlegen wir anhand dessen gemeinsam: Was würde MacMillan jetzt sagen? Wie würde er es wollen?“

Wenn ein Tänzer soviel Erfahrung hat wie Jiří, dann geschieht es aus Kompetenz, wenn er die Kooperation mit den Coaches derat loben kann. Der Superstar des Balletts kennt sich ja in jeder Hinsicht mit der Arbeit am Körper als Körperkunst aus.

Wenn er mit anderen Tänzern an einem Stück arbeitet, steht er, weil er dann Choreograf ist, auf der anderen Seite, wie man so sagt. Er kennt also beides: Instrument für den Tanz, also Tänzer, zu sein – und als Tanzschöpfer, also als Choreograf, tätig sein.

Erfolge als Choreograf hat er zuhauf, so mit abendfüllenden Balletten wie „The Piano“, das beim Ballett Dortmund premierte. In Ljubljana wird er 2016 zusammen mit Otto, der die Dramaturgie dazu besorgt, wieder ein Ballett nach einem Kinofilm kreieren: „Doktor Schiwago“. Aber auch abstrakte Kurzballette stehen auf dem Programm der Bubeniceks, wie das zu einer jazzigen Musik, das er bald in Hannover choreografiert.

Der schöne Mann Jiří, dessen Schönheit so sehr von innen zu kommen scheint und sich vor allem in Bewegung, in Gestik entfaltet, kann eben auch Schönheit produzieren – und er weiß, dass das mit Menschen zu tun hat, nicht mit oberflächlicher Dekoration.

Jiri Bubenicek tanzt noch eine große Rolle!

Die Pas de deux in „Manon“ sind Konzentrate der intimen Beziehungen zwischen zwei Verliebten, die aus völlig unterschiedlichen Sphären kommen. Foto: Ian Whalen

Und dann sagt Jiří Bubeníček, der wohl schönste und zielstrebigste aller Tänzer, einen bedenkenswerten Satz: „Ich würde gern Verantwortung für eine Compagnie übernehmen.“ Ja, das kann man sich gut vorstellen: dass er auf Tänzerinnen und Tänzer eingeht, mit ihnen etwas für sie Passendes kreiert und ihre Rechte nach außen, ihre Pflichten nach innen verteidigt.

Wir werden noch von ihm hören, von diesem seelenvollen Tausendsassa!
Gisela Sonnenburg

„Manon“: öffentliche Probe morgen, am 4.11.15; Premiere am 7.11.15 in der Semperoper in Dresden

 Jiří Bubeníček: zum letzten Mal beim Semperoper Ballett am 11.11. in „Manon“

 Weitere „Manon“-Termine: mit Julian Amir Lacey (am 14. und 18.11.) und István Simon (19. und 22.11.) als des Grieux

Ein Portrait von Jiří Bubeníček von 2014:

www.ballett-journal.de/?s=oh+du+schöner+vagabund

Ein Portrait von Otto Bubenicek von 2015:

www.ballett-journal.de/hamburg-ballett-otto-bubenicek/

 www.semperoper.de

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