Seltsame Vorstellung Die Geschäftsführung vom Staatsballett Berlin macht Zugeständnisse, diskriminiert ver.di aber weiterhin

Der Streik wird wohl weiter das Tanzen lernen.

So sahen die Winter-Streiks vom Staatsballett Berlin in der laufenden Saison aus: fesche Streikwesten über peppigen Wintermänteln. Vorne in Lila: die Ballettpädagogin Miriam Wolff, die ver.di ehrenamtlich hilft. Auf die Sommermode des Tänzer-Streiks darf man jetzt wohl gespannt sein! Foto: Gisela Sonnenburg

Acht Tage pro Jahr hat ein Solist des Berliner Staatsballetts derzeit frei. Das ist, nach gängigen Arbeitnehmermaßstäben, kaum zu fassen, so wenig ist es. Die Gewerkschaft ver.di fordert darum seit Monaten eineinhalb freie Tage pro Woche für Tänzer; nicht nur für die Solisten, sondern für das gesamte Ensemble. Ist das etwa ein Verbrechen? Nach vier bestreikten Vorstellungen rumort es beim Staatsballett Berlin erneut, zunächst noch hinter den Kulissen. Jüngst lud der Geschäftsführende Direktor, Georg Vierthaler, die Presse zu einem Gespräch.

Die Sachlage ist kompliziert, aber nicht aussichtslos: Vierthaler zeigt sich hier und da bereit, einzulenken. Mündlich, also unverbindlich, verspricht er sogar dreijährige Arbeitsverträge – im Ballett ein Novum, denn üblich sind nur ein- und zweijährige Verträge. In einem Punkt aber bleibt Vierthaler betonhart: Die Großgewerkschaft ver.di will er nicht am Verhandlungstisch haben.

Lieber ist er bereit, und zwar ohne wirtschaftliche Kalkulation, etliche Forderungen nach einer Besserung der arbeitsrechtlichen Ballettsituation zumindest scheinbar zu füllen. So finden sich eine Reihe von Vergütungsleistungen, die ver.di für die knapp 80 Tänzerinnen und Tänzer verlangt, in einem „Zusicherungskatalog der Leitung des Staatsballetts Berlin“ aufgelistet.

Vor allem die Mindestgage von 3 338 Euro, die Vierthaler darin rückwirkend zum 1. März 2015 anbietet, lockt, und auch eine gewährte einstündige Mittagspause sowie die Splittung des Urlaubs in zwei Teile – sodass auch im Winter eine Woche geurlaubt werden darf – klingen angenehm.

Der Streik wird wohl weiter das Tanzen lernen.

Ein Blick auf die Homepage vom Staatsballett Berlin: Georg Vierthaler in Bild und Vita. Faksimile: Gisela Sonnenburg

Allerdings: Von freien Tagen für die Gruppentänzer ist in dem Papier vom 18. Mai 2015 gar nicht die Rede. Und auch das wichtigste fehlt: die Bereitschaft Vierthalers, mit ver.di zu verhandeln. Das macht seine Bemühungen, verstanden zu werden, zu einer seltsamen Vorstellung.

Spätenstens, wenn das Tarifeinheitsgesetz, das derzeit in der Mache ist, durchkommt, wird Vierthaler mit ver.di reden müssen. Denn 92 Prozent der Ballerinen und Ballerinos vom Staatsballett Berlin sind Mitglied bei ver.di.

In detailreicher Kleinarbeit hat die Gewerkschaft in den letzten Monaten zusammen mit der Tarifkommission, die sich aus Tänzervertretern zusammen setzt, herausgearbeitet, wie ihre arbeitsrechtliche Situation zu verbessern sei.

Die Großgewerkschaft ver.di bezahlt das Streikgeld, wenn die Tänzer wegen des Streiks ihrer Arbeit nicht nachgehen können – und ver.di übersetzt Verträge und andere Dokumente ins Englische, damit die überwiegend ausländischen Künstler juristisch genügend Einblicke erhalten und wissen, was sie gegebenenfalls unterschreiben sollen.

Der Streik wird wohl weiter das Tanzen lernen.

Die Düsternis täuscht: Die Homapage des Staatsballetts Berlin zeigt Erhellendes, nämlich die Tätigkeit als Arbeitgeberlobbyist  von Georg Vierthaler, Geschäftsführender Direktor vom Staatsballett Berlin. Faksimile: Gisela Sonnenburg

Jetzt kommt Georg Vierthaler und vertritt knallharte nebulöse Interessen, die mehr auf die Gesamtlage der deutschen Theater abzielen, als dass sie sich aufs Staatsballett Berlin konkret beziehen. Anders ist kaum zu erklären, dass er zwar einen Haustarifvertrag anbieten möchte, diesen aber keinesfalls von ver.di unterzeichnen lassen will.

Ein Haustarifvertrag muss aber von einer Gewerkschaft unterschrieben werden, sonst ist er rechtlich ungültig. Vierthaler bevorzugt da als Verhandlungs- und Vertragspartner nach wie vor die kleinen Gewerkschaften GDBA (Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger) und die VdO (Vereinigung deutscher Opernchöre und Bühnentänzer). Die haben aber bundesweit kaum Mitglieder bei Ballettensembles – und bewiesen in den vergangenen zwanzig Jahren nicht mal annähernd ein vergleichbares Engagement, wie es ver.di in Berlin für die ballettösen Künstler aufbringt.

Hier nun die Ideen zu klauen und darauf zu hoffen, dass es niemand merken wird, wenn langsam, aber sicher Rechte wieder gekappt werden, ist vielleicht schlau, aber nicht anerkennenswert.

Der Streik wird wohl weiter das Tanzen lernen.

Erinnerung an Karfreitag: Das wegen Streik nicht aufwachende „Dornröschen“ sorgte auch für Schlagzeilen in der BZ, Berlins größter Boulevardlokalzeitung. Faksimile: Gisela Sonnenburg

Der Abscheu, den Vierthaler ver.di gegenüber empfindet, ist wahrscheinlich nicht mal persönlich. Hier mögen andere Interessen hinter ihm stehen und lobbyistischen Druck auf ihn ausüben. Vierthaler ist übrigens Vorsitzender des Landesverbands Berlin des Deutschen Bühnenvereins (das ist der Arbeitgeberverband der Theater) – und sitzt auch im Vorstand des Berliner Kommunalen Arbeitgeberverbands.

Vielleicht wollen die Berliner Arbeitgeber am Staatsballett Berlin ein Exempel statuieren. Oder die Industrie, die nicht selten lange Finger in Richtung Zukunftsmärkte macht und damit Arbeitsplätze in der Region verspricht, hofft, für DVD-Aufzeichnungen und –Vermarktungen bald nur noch nahezu rechtlose oder freiberufliche „Projekttänzer“ bezahlen zu müssen – wie sie in kleinen Tanzgruppen etwa von Sasha Waltz arbeiten.

Schließlich wächst der digitale Markt, und Investoren träumen von Massenbespaßungsevents, für die sie allein die billig erworbenen Lizenzrechte haben. Die Hochkultur ist vor diesem Zugriff nicht sicher.

Möglicherweise ist es kein Zufall, dass Georg Vierthaler seit Jahren immer wieder das Tanztheater von Sasha Waltz im Berliner Opernbetrieb präsentiert: wie eine drohende Nachfolge des dann angeblich zu teuren Berliner Staatsballetts. Um das zu verhindern, muss ver.di sich durchsetzen – und den Ballerinen und Ballerini einen richtig guten Haustarifvertrag besorgen, der ihre Abwicklung verhindert. Darum müssen die Tänzer wieder streiken, vielleicht sogar explizit für die Anerkennung von ver.di als ihrer gewerkschaftlichen Vertretung – etwas anderes bleibt ihnen nicht übrig!
Gisela Sonnenburg

 

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