Nachtigallengesang, Soldatengeschichte und Vogelfeuer Das Stuttgarter Ballett lockt mit „Strawinsky HEUTE“ zu einem Abend mit drei Premieren - zwei davon sind Uraufführungen. Und am 5.9.15 will 3sat die Sache zeigen

Strawinsky

Hier ein Blick in die bis heute definitive Biografie von „Igor Strawinsky“ (so auch ihr Name) – geschrieben wurde sie mit großer Sachkenntnis und auch sprachlicher Könnerschaft von Michail Druskin. Sie erschien schon 1974 erstmals, und zwar in Moskau. Vorliegend die deutschsprachige Ausgabe aus dem Verlag Phiipp Reclam jun. Leipzig, von 1976. Faksimile: Gisela Sonnenburg

Der Komponist, der musikalisch die Moderne im Ballett einläutete – mit „Le Sacre du Printemps“ – war Igor Strawinsky. Jetzt gibt es bald drei Stücke von ihm auf einen Schlag, mit der kommenden Premiere in Stuttgart. Vivien Arnold hat als Ballettdramaturgin und als Chefin vom Pressebüro des Stuttgarter Balletts dort eine reichhaltige Erfahrung. Derzeit begleitet sie als Dramaturgin die neue Kreation „Die Geschichte vom Soldaten“ in der Choreografie von Demis Volpi. Aber auch zu den anderen beiden Balletten, mit denen Volpis Werk zusammen gezeigt werden wird, kann Arnold kompetente Auskunft geben. Im Folgenden ein Interview anlässlich der Premierenvorbereitungen.

Feuervogel-Probe

Exzellente Handführung: Sidi Larbi Charkaoui probt mit dem Stuttgarter Ballett seinen eben erst kreierten „Feuervogel“. Foto: Roman Novitzky / Stuttgarter Ballett

Ballett-Journal: Sie zeigen mit der kommenden Premiere „Strawinsky HEUTE“ eine deutsche Erstaufführung und gleich zwei Uraufführungen an einem Abend. Wie kam es zu diesem Programm?
Vivien Arnold: Den Grundstein für das Programm von Strawinsky HEUTE hat gewissermaßen Sidi Larbi Cherkaoui gelegt, der von unserem Ballettintendanten Reid Anderson mit einer Choreografie für das Stuttgarter Ballett beauftragt worden ist. Reid Anderson ließ ihm ganz freie Wahl, was seinen „Stoff“ bzw. die Musik betreffen sollte, und da Cherkaoui für uns unbedingt zu Strawinskys Feuervogel choreografieren wollte, war so der erste Schritt zu dem Programm getan. Unser Hauschoreograf Marco Goecke hatte bereits 2009 in Leipzig zu Strawinskys Le Chant du Rossignol („Der Gesang der Nachtigall“) kreiert, und Reid Anderson fand das Stück sehr schön, also entschied er sich, es ins Repertoire aufzunehmen. Allerdings hatte Marco Goecke dann so viel Spaß mit unseren Tänzern, dass es jetzt eigentlich eine Neufassung geworden ist und keine Erstaufführung. Als dann zwei Ballette zur Musik von Strawinsky feststanden, lag es für Reid Anderson auf der Hand, unseren anderen Hauschoreografen Demis Volpi zu bitten, auch ein Stück zu Strawinsky zu kreieren. Er entschied sich für Die Geschichte vom Soldaten.

Goecke probt

Hatte Spaß bei der Probe: Marco Goecke probt „Le Chant du Rossignol“, den „Nachtigallengesang“, beim Stuttgarter Ballett. Foto: Roman Novitzky / Stuttgarter Ballett

Ballett-Journal: Die drei choreografischen Handschriften sind zwar alle noch jung, aber auch sehr heterogen. Nun war Igor Strawinsky ein Künstler, der sehr stil- und formbewusst war. Sein Biograf Michail Druskin schildert ihn als einen richtigen Freak, was historisch-musikalische Zitate und ihre Abgrenzung zu Kitsch oder Formalismus angeht. Wie passt das nun in Stuttgart alles zusammen?
Vivien Arnold: Eigentlich war Strawinsky ein sehr experimentierfreudiger Komponist! Er hat in vielen verschiedenen Stilen komponiert und hat dann auch etwas völlig Revolutionäres mit Le Sacre du Printemps geschaffen. Insofern ist die Heterogenität der choreografischen Handschriften gar nicht unpassend. Am wichtigsten ist aber, dass Strawinsky den Tanz als ebenbürtige Kunstform betrachtet und viele seiner Stücke ausdrücklich für Tanz kreiert hat. Strawinsky war ein genialer Komponist und hat schon viele Choreografen zu immer neuen Interpretationen seiner Musik inspiriert – wir haben nun das Glück, zwei, eigentlich sogar drei neue an einem Abend auf die Bühne bringen zu können. Das ist natürlich sehr aufregend.

Marco Goecke

Stehen, Schauen, Stehen: Marco Goecke bei der Probe zu „Le Chant du Rossignol“ („Der Gesang der Nachtigall“) in Stuttgart. Im Hintergrund schaut John Cranko aufmerksam zu… wie immer in diesem Saal! Foto: Roman Novitzky / Stuttgarter Ballett

Ballett-Journal: Außer bei Serge Lifar, der Strawinsky einen „Despoten“ nannte und seine Musik für den Tanz regelrecht hasste, ist Strawinsky als Ballettkomponist legendär und zurecht äußerst beliebt. Aber natürlich handelt es sich auch um den subjektiven Ausdruck einer komplizierten Künstlerseele. Haben die drei neuen Kreationen in irgendeiner Hinsicht mit der Person Strawinskys zu tun?
Vivien Arnold: Ich denke, die drei Choreografen haben sich mehr mit der Musik als mit der Person auseinandergesetzt. Bis heute ist Strawinskys Musik eine Herausforderung für jeden Choreografen und für jeden Tänzer – hauptsächlich aufgrund der hohen rhythmischen Komplexität.

Vivien Arnold

Vivien Arnold ist Ballettdramaturgin und Leiterin der Presse-Stelle vom Stuttgarter Ballett. Sie betreut gerade „Die Geschichte vom Soldaten“, die von Choreograf Demis Volpi zu seiner Uraufführung gebracht wird. Foto: Stuttgarter Ballett

Ballett-Journal: Sie betreuen „Die Geschichte vom Soldaten“ in der Choreografie von Demis Volpi auch dramaturgisch. Können Sie da auf einen inhaltlichen Schwerpunkt hinweisen? Im Original des Stücks geht es ja um einen Soldaten, der seine Geige – symbolisch für: seine Seele – dem Teufel verkauft und dadurch später nicht mit der Prinzessin, die er liebt, glücklich werden kann.
Vivien Arnold: Demis Volpi hat sich zu allererst mit der Entstehung von Geschichte vom Soldaten beschäftigt: Strawinsky strandete nämlich während des Ersten Weltkrieges in der Schweiz, hatte kein Einkommen mehr und eine Familie zu ernähren. Die Geschichte vom Soldaten wurde für eine kleine Wandertruppe konzipiert, als Stück, das auf Marktplätzen oder in kleineren Stadthallen aufgeführt werden konnte, da viele Theater geschlossen waren. Das Ziel war natürlich, Einnahmen zu generieren. Es war auch das einzige Stück, das Strawinsky selbst produziert hat. Dieser Ausgangspunkt hat zum einen das Bühnenbild – das von Katharina Schlipf entworfen worden ist – für Volpis Interpretation inspiriert, aber auch zum Teil den Inhalt.

Die Geschichte

Hier spielen Koffer eine szenische Rolle – in Demis Volpis gerade entstehenden Ballett „Die Geschichte vom Soldaten“ beim Stuttgarter Ballett. Foto: Roman Novitzky / Stuttgarter Ballett

Ballett-Journal: Wird Humor oder eine spezifische Art des Humors eine Rolle spielen?
Vivien Arnold: Getreu Strawinskys Absicht, das Stück für ein sehr breites Publikum zu machen, ist die Musik – beim ersten Hinhören – etwas plakativ. Es gibt Märsche, einen Tango, einen Walzer und einen Ragtime. Die Musik enthält aber auch eine gewisse Ironie. Dies blitzt dann bei Demis Volpi auch manchmal durch.

Ballett-Journal: Kann man schon etwas zur Besetzung sagen? Welche Tänzer werden den Abend dominieren? Und verweisen die Choreografen auf frühere Werke von sich? Marco Goecke etwa auf seine „Äffi“-Arbeit?
Vivien Arnold: Da es gilt, drei Stücke zu bestreiten, sind fast 40 Tänzer bei diesem Ballettabend auf der Bühne. Dominieren wird dabei niemand. Ob die Choreografen auf frühere Werke verweisen? Nun, es hat ein jeder seinen Stil, aber zumindest von diesen drei Choreografen kann man sagen, dass sie sich nicht festgesetzt haben – auch nicht Marco Goecke, dessen Stücke man zwar immer sofort „erkennt“, der sich aber permanent weiterentwickelt und sein Vokabular stets erweitert.

Charkaoui in Stuttgart

Hier probt Sidi Larbi Charkaoui mit dem Stuttgarter Ballett – die Ensembleszene gehört zu seinem kommenden „Feuervogel“. Foto: Roman Novitzky

Ballett-Journal: Als Strawinsky im Alter von 80 Jahren auf sein Werk zurück blickte, stellte er fest: „Der ‚Feuervogel’ war für mich ein fruchtbarer Beginn, der in gewissem Sinne das Schaffen der folgenden vier Jahre vorbestimmt hatte.“ Das Ballett stammt von 1910 und beinhaltet bereits viele vor allem moderne Aspekte. Es bereitet auch Strawinskys Weltskandal mit „Le Sacre du Printemps“ von 1913 vor. Wie wird der neue „Feuervogel“ aussehen? Wird das Spiel verschiedener Kulturen miteinander eine Rolle spielen?
Vivien Arnold: Der Feuervogel von Cherkaoui ist ein echtes Ensemble-Stück, da es ihm weniger darum geht, die ursprüngliche Handlung zu erzählen, als eher assoziativ zu arbeiten. Er spielt auf verschiedene Ideen an, die er mit dem Feuervogel assoziiert, allen voran der des Phoenix. Seinen choreografischen Stil hat er als etwas beschrieben, das sich aus seinem Kontakt und seiner Neugier für verschiedenste Kulturen, Kunst- und Bewegungsformen entwickelt hat und sich auch mit jeder neuen Arbeit weiterentwickelt.

Die Geschichte

Proben bedeutet auch: Seine Kontrollfertigkeit zu zeigen. Hier Demis Volpi in Aktion für seine „Geschichte vom Soldaten“ mit dem Stuttgarter Ballett. Foto: Roman Novitzky / Stuttgarter Ballett

Ballett-Journal: Strawinsky sagte mal: „Wir wollen das beherrschen, was wir lieben.“ Wie können wir das in Hinsicht aufs Ballett und auf den kommenden neuen Stuttgarter Ballettabend interpretieren?
Vivien Arnold: Ich weiß nicht, ob sich dieses Zitat in Hinsicht auf einen Ballettabend so gut anwenden lässt. Natürlich wird die Arbeit für diesen Ballettabend von unserer Liebe zum Tanz und zur Musik vorangetrieben – aber es geht dabei ja nicht um die Beherrschung einer Sache, sondern ganz im Gegenteil, um das Loslassen, damit alles frei, authentisch und spontan ist.
Ballett-Journal: Es geht aber sicher um die Beherrschung des Körpers und auch von Gefühlen, insgesamt von Kontrollierung der körperlichen Ausdrucksmittel. Für diese Stärken ist das Stuttgarter Ballett ja eigentlich bekannt.
Interview: Gisela Sonnenburg

Am 13. (Premiere / Uraufführungen), 18., 21. und 29. (zwei Mal) März im Opernhaus Stuttgart

Rachele Buriassi in Sidi Larbi Cherkaouis "Feuervogel". Foto: Stuttgarter Ballett

Rachele Buriassi in Sidi Larbi Cherkaouis „Feuervogel“. Foto: Stuttgarter Ballett

Für den 5. September plant 3sat die Ausstrahlung einer Aufzeichnung dieses Abends. Den rezensierenden Outlook dazu sehen Sie hier:

www.ballett-journal.de/stuttgarter-ballett-3sat-strawinsky/ 

www.stuttgarter-ballett.de

UND SEHEN SIE BITTE INS IMPRESSUM: www.ballett-journal.de/impresssum/

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